14. September 2020
Was ist ein Designathon und wie kann es Kunden helfen, seine Produkte zu digitalisieren?
Autor: Max Well von Goodpatch GmbH
2018 wurde Goodpatch zum ersten Mal zu einem “Designathon” Event in Zürich eingeladen, um in 2 Tagen Lösungen für komplexe Aufgabenstellungen zu gestalten. Ein Designathon hat Ähnlichkeiten mit einem Hackathon. Der Unterschied ist, dass sich hier keine IT Spezialisten und Programmierer sondern UX, Web- und Business Designer in einem Raum einsperren und zusammen an gesellschaftlich relevanten Themen arbeiten.
Bild: Pexels
Wir stellten schnell fest, dass uns dieses Format die Chance bot, unser Wissen über Design Thinking zu bündeln und dass wir diese Erfahrung auch unseren Kunden zur Verfügung stellen wollen. Über die letzten Jahre haben wir ein Best-Of an Design Thinking Methoden zusammengestellt und unseren Designathon (natürlich mit der Erlaubnis des Designathon Teams aus Zürich) zu einem 4-tägigen Workshop Format ausgearbeitet. Dabei ist das Ziel, in kürzester Zeit einen Prototypen zu erstellen, der mit echten Nutzern getestet werden kann.
Die Challenge vor dem Sturm:
Alles beginnt mit einer Challenge, die den groben Rahmen für den Designathon vorgibt. In diesem ersten Schritt ermutigen wir die Teilnehmer, sich selbst Herausforderungen zu überlegen. Die Vorschläge werden diskutiert, priorisiert und zum Schluss in einer gemeinsamen Formulierung zusammengefasst um alle Teilnehmer ins Boot zu holen und auf die folgenden Tage einzuschwören.
Phase 1 – Entdecken
Inspiration ist der Grundstein jedes kreativen Prozesses. Darum laden wir zunächst Teilnehmer und Stakeholder ein um ihr Wissen über das Thema zu teilen. In der Regel geschieht das über inspirierende Präsentationen zu bestehenden Lösungen. Wir fordern die übrigen Teilnehmer dabei auf, aktiv zuzuhören und sich ihre “Aha-Momente” zu notieren.
Wir glauben an die Kraft von Human Centered Design und die Wichtigkeit, Endkunden so früh wie möglich in den Prozess zu integrieren. Darum führen wir schon in dieser Anfangsphase qualitative Interviews mit Nutzern oder Mitarbeitern mit direktem Kundenkontakt und versuchen, aus den Statements Entscheidungen für das Design abzuleiten.
3 nützliche Tipps
- Ein ideales Interviewsetup besteht aus einem Interviewer, einem Interviewten und 1-2 Zuhörern.
- Als Moderator kann es nützlich sein, sich schon vor dem Designathon ein Set an offenen Fragen bereit zu legen.
- Schreiben Sie sich inspirierende Statements auf Post-Its auf um sie später mit dem gesamten Team zu teilen.
Phase 2 – Definieren
Nutzer wissen nicht was Sie wollen. Schon Henry Ford sagte: “Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt, schnellere Pferde.” Darum ist es wichtig, die Antworten aus den Interviews zu abstrahieren und Verbindungen zu schaffen. Das hilft den Teilnehmern neue Zusammenhänge und Probleme zu erkennen. Um die Statements aus den Interviews übersichtlich darzustellen und einzuordnen, nutzen wir bei Goodpatch eine 2×2 Matrix. Als Beschriftung bieten sich “Probleme”, “Ziele”, “Motivation” und “Verhalten” an wobei diese Bezeichnungen auch je nach Bedarf geändert werden können.
Als nächstes ist es die Aufgabe des Teams, die identifizieren Daten in dem Format “Nutzer + Bedürfnis + Insight” zusammen zu fassen.
3 nützliche Tipps
- Versuchen Sie, die ursprüngliche Erkenntnis zu abstrahieren und herauszufinden, was der eigentlich Beweggrund/Wunsch des Nutzers ist.
- Ermutigen Sie das Team, sich die Ergebnisse gegenseitig vorzustellen.
- Versuchen Sie, vorschnelle Annahmen zu vermeiden. Falls Sie sich unsicher sind, formulieren Sie ihre Erkenntnisse als Fragen anstelle von Statements.
Phase 3 – Ideate
Erfahrungsgemäß ist jetzt die Teamdynamik auf dem Höchststand. Aufgrund des kollaborativen Charakters ist die Ideengeneration mit Hilfe von Brainstorming oder Brainwriting eine der beliebtesten Übungen. Die besten Ergebnisse lassen Sich aus unserer Erfahrung erzielen, wenn die Ideengeneration im Stillen erfolgt und erst im Nachgang mit der Gruppe geteilt wird. Um das Teilen der Ergebnisse noch produktiver zu gestalten, ermutigen wir unsere Teilnehmer meist dazu, ihr Feedback in dem Format “Ja und… ” zu geben. Die Folge ist, dass es zu keiner Blockade kommt sondern auf Ideen anderer aufgebaut wird.
Mit den gesammelten Ideen und inhaltlichen Fragmenten geht es weiter mit der Methode “Idea Napkins”. Dieses Framework hilft dabei, mehr Licht ins Dunkel zu bringen und Ideen zu konkretisieren.
3 nützliche Tipps
- Versuchen Sie, “Wie können wir…” Fragen basierend auf Ihren Insights zu generieren.
- Integrieren Sie auch Personen aus anderen Teilen der Organisation. Das kann zu neuen Sichtweisen und überraschenden Ideen führen.
- “Veröffentlichen” Sie wenn möglich die fertigen Idea Napkins an einem im Unternehmen öffentlich zugängigen Ort. So können sich auch andere Mitarbeiter einbringen.
Phase 4 – Bauen
Nachdem die Idea Napkins geteilt und priorisiert wurden ist es an der Zeit, sie zum Leben zu erwecken. Hierbei nutzen wir einen strukturierten Ansatz bei dem wir von einer abstrakten Idee bis hin zu einer konkreten Lösung bewegen.
Zunächst erstellen wir Storyboards um darzustellen, wie ein Nutzer von einem existierenden Setting (üblicherweise ein Problem) über verschiedene Schritte zu eine Bedürfnisbefriedigung (Problemlösung) kommt. Im zweiten Schritt erstellen die Teilnehmer eine Liste der Schritte, die ein Kunde durchlaufen muss. Diese Schritte werden dann mit den entsprechenden Screens verknüpft und in einem User Flow dargestellt.
Nachdem alle Screens in Form von Papierskizzen erstellt wurden, werden sie von den Teammitgliedern geordnet und die Verbindungen zwischen den Screens gezogen. Daraus ergibt sich die so genannte Interaction Map.
Anschließend nutzen die Teilnehmer ein Low Fidelity Prototyping Tool (beispielsweise Prott oder Invision) um die Papierskizzen zu digitalisieren und Sie dem restlichen Team als Click Dummy (erster Low Fidelity Prototyp) vorzuführen.
3 nützliche Tipps
- Storyboards können auch nur aus Text bestehen – Bilder machen diese jedoch ansprechender.
- Ermutigen Sie Teilnehmer, die Angst vor Stift und Papier haben. Wireframes (Papierskizzen) können auch einfach mit Boxen und Textfeldern erstellt werden.
- Identifizieren Sie die tech-affinen Teilnehmer und ermutigen Sie Ihnen bei der Erstellung der digitalen Click Dummys zu unterstützen.
Phase 5 – Testen
Interaktive Prototyping Tools wie Prott oder Invision helfen uns in unserem Prozess, unser Designs früher zu testen und so schneller intuitive digitale Produkte zu entwickeln. Unser Ziel ist es, die Lösung mit Endkunden zu testen, um das Feedback in der nächsten Iterationsschleife einzuarbeiten. Wie J. Knapp sagt: “The solution should look real enough to test but it doesn’t need to be pretty”. In diesem ersten User Testing ist es wichtig, Roadblocks und wirkliche Probleme der Nutzer zu identifizieren. Das Ziel ist es, die Nutzer bei der Benutzung des Prototypen zu beobachten und Schlüsse für die nächste Iteration zu ziehen.
3 nützliche Tipps:
- Versuchen Sie nicht, dem Nutzer Ihre Lösung zu verkaufen
- Hören Sie der Testperson zu und hinterfragen sein Verhalten mit “Warum…”
- Ermutigen Sie alle Teilnehmer, sich während des User Testings Notizen zu machen
Phase 6 – High-Res Design
Um das Endprodukt hoch aufzulösen und es wie eine echte Applikation wirken zu lassen, verpassen wir bei Goodpatch den Prototypen im Nachgang noch den nötigen visuellen Feinschliff. Durch die Benutzung von professionellen Grafikprogrammen erwacht der Prototyp dabei wirklich zum Leben und kann mit dem Team geteilt werden um weitere Testings durchzuführen. Auch kann ein Prototyp hilfreich sein bei der Bewilligung von internen Mitteln oder um ein gemeinsames Verständnis bezüglich eines Sachverhalts zu schaffen.
Ein Designathon ist hilfreich um alle Stakeholder zusammen an einen Tisch zu bringen mit dem Ziel, in nur 4 Tagen eine Lösung für ein Problem zu finden. Die Teilnehmer lernen in einem strukturierten Prozess ihr kreatives Potential auszuschöpfen und Lösungen für digitales Produktdesign zu schaffen. Unser Prozess hilft dem Team dabei, Entscheidungen zu treffen ohne sich in endlosen Diskussionen zu verlieren und den Fokus auf mögliche Lösungen und anfassbare Ergebnisse zu legen.
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